WHO und BZgA, die die Standards für die Sexualaufklärung in Europa entwickelt haben, verbreiten erfolgreich die These, dass eine „ganzheitliche Sexualerziehung“ eine messbare und positive Auswirkung auf die gesundheitliche Lage der Jugendlichen habe. Dafür gibt es aber bis heute keine belastbaren Daten. Hauseigene Studien belegen vielmehr das Gegenteil.
Es dürfte hierzulande wohl kaum jemanden geben, der die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) nicht kennt. Mit zahlreichen Schul- und Aufklärungsmaterialien und anstößigen Plakat-Kampagnen ist die BZgA regelmäßig in aller Munde. Weniger bekannt ist dagegen der große internationale Einfluss der BZgA. Seit 2003 besteht zum Beispiel eine enge Zusammenarbeit mit der WHO. Gemeinsam erarbeitete man z.B. 2013 die „Standards für die Sexualaufklärung in Europa“, die als sog. „ganzheitliche Sexualerziehung“ – auf Englisch CSE oder „comprehensive sexual education“ – in den Lehrplänen von immer mehr europäischen Ländern festgeschrieben worden ist. Hinter der scheinbar neutralen Bezeichnung CSE steckt aber ein zweifelhaftes Konzept, wie die Publizistin Gabriele Kuby in ihrem Buch „Die globale sexuelle Revolution“ nachweisen konnte.
„Sexuelle Rechte der Kinder“
„Ganzheitliche Sexualerziehung“ meint eine sich über die ganze Kindheit und Jugend erstreckende Sexualerziehung – entsprechend der These, dass Kinder von Anfang an sexuelle Wesen seien. Unter dem Deckmantel vermeintlicher „sexuelle[r] Rechte der Kinder“ werden an den Eltern vorbei zweifelhafte Werte und Normen vermittelt und so z.B. Jugendlichen beigebracht, wohin sie sich für einen Schwangerschaftsabbruch wenden können. Themen wie sexuelle Orientierung und Genderrollen werden als normaler Teil des Unterrichts gefordert. Die CSE zeigt also eine gewisse Ähnlichkeit mit der „neo-emanzipatorischen“ Sexualerziehungsschule von Uwe Sielert, auf den in den Fußnoten der Standards für die Sexualaufklärung in Europa (nur in der Print-Ausgabe allerdings) auch zweimal Bezug genommen wird.
Die Standards bekommen einen noch sinistreren Beigeschmack, wenn man sich die Quellenangaben durchliest – wie es die Sexualwissenschaftlerin Karla Etschenberg gemacht hat. Dabei entdeckte sie, dass die den Standards zugrundeliegende Sicht auf die kindliche Sexualität auch von der Arbeit zweier Wissenschaftler, Theo Sandfort und Ernest Bornemann, beeinflusst wurde, die in der Vergangenheit die Schäden pädophiler Kontakte für Kinder öffentlich infrage gestellt hatten.
Einheitliche Sexualaufklärung in ganz Europa
Ein explizites Ziel der Standards ist es, die Praxis der Sexualaufklärung in Europa zu vereinheitlichen. Um den Stand der Implementierung der Empfehlungen festzustellen und weitere Strategien zu planen, trafen sich im Mai 2017 in Berlin dutzende Sexualwissenschaftler, Entscheidungsträger und Repräsentanten internationaler Organisationen wie der BZgA, WHO und IPPF (der internationalen Mutterorganisation von pro familia und einer der größten Abtreibungsdienstleister weltweit) zur „International conference: Sexuality education in Europe“.
Wie ein Mantra wurde auf der Tagung betont, dass diese Art von Sexualerziehung unbedingt weite Verbreitung und sogar eine rechtliche Grundlage finden sollte, u.a. weil sie eine „positive Sicht“ von Sexualität fördere und den Bedürfnissen der Adressaten, also Kinder und Jugendlichen, gerecht werde. Solche Behauptungen sind allerdings keineswegs belegbar und haben mit der Realität überdies wenig zu tun. Denn eine Promiskuität fördernde und lustfokussierte Sexualerziehung, die keinen anderen Wert außer Einvernehmlichkeit anerkennt, ist weder positiv noch entspricht sie den tiefen Sehnsüchten der Jugendlichen nach wahrer Liebe und Familie.
Zweifelhafte Wirkung ganzheitlicher Sexualerziehung
Den „Experten“ von BZgA und WHO zufolge sei aber die positive Wirkung von CSE-Programme auf die sexuelle Gesundheit Jugendlicher auch von wissenschaftlich erfassten Zahlen etwa zu Schwangerschaftszahlen und Verbreitung von Verhütung bei Minderjährigen abgedeckt. Aber gerade eine von BZgA und IPPF durchgeführte Untersuchung über den Stand der Sexualerziehung in 25 Ländern in Europa und Zentralasien, die in der Berliner Tagung vorgestellt wurde, zeigt ein anderes Bild. Dort wird mehr oder weniger implizit eine Korrelation zwischen CSE und niedrigen Schwangerschaftsraten sowie breite Verwendung von Verhütungsmitteln suggeriert.
Gerade aber die Statistik zur Häufigkeit der Anwendung von Pille und Kondom hat kaum Aussagekraft. Zum einen bezieht sie sich nur auf 15-Jährige und nicht auf alle Jugendlichen. Zum anderen wird dort nicht erfasst, ob Jugendliche regelmäßig verhüten, sondern lediglich, ob sie beim allerersten bzw. beim letzten Geschlechtsverkehr verhütet haben. Doch nur eine ausnahmslose Verwendung von Verhütungsmitteln könnte einen gewissen, wenn auch nicht absoluten Schutz bieten – im Unterschied zur vollen Enthaltsamkeit, die nicht nur vor Schwangerschaft und sexuell übertragbaren Krankheiten schützt, sondern auch vor den mittlerweile gut belegten psychischen Schäden einer verfrühten sexuellen Aktivität.
Schaden größer als der Nutzen
Auch anhand der in der Studie erfassten Schwangerschaftsraten lässt sich ein vermeintlicher Erfolg von CSE-Programmen nicht begründen, auch weil Schwangerschaftsabbrüche nicht berücksichtigt wurden. Wenn man nach einer Korrelation zwischen niedrigen Schwangerschaftsraten und „ganzheitlicher Sexualerziehung“ sucht, stößt man zwar auf Fälle, die diesen Zusammenhang scheinbar bestätigen, aber auch auf mehrere Länder, die gar nicht in das Muster von BZgA und IPPF passen. Wie etwa Albanien, das laut der Untersuchung seit Jahren ein vielgelobtes und verpflichtendes Programm durchführt, trotzdem aber hohe Teenager-Schwangerschaftsraten aufweist, vergleichbar mit Ländern, deren Sexualaufklärungsprogramme laut der Studie sehr mangelhaft sind, wie Russland und der Ukraine. Auch im Vorbildland Estland beträgt die Zahl der jährlichen Schwangerschaften der unter 15- bis 19-Jährigen 12 pro 1000, etwas weniger als Lettland (13 pro 1000) und sogar mehr als Irland (10 pro 1000), deren Sexualaufklärungsmodelle in der Studie scharf kritisiert werden.
Von verschiedenen Teilnehmern der Tagung im Mai 2017 wurde betont, dass man Gegner der ganzheitlichen Sexualerziehung wie religiöse Institutionen und Elternverbände, aber auch Lehrer und politische Entscheidungsträger durch objektive Fakten und Zahlen für die CSE gewinnen könnte. Ein Blick in die Untersuchungen der selben Akteure zeigt allerdings das genaue Gegenteil, nämlich dass eine „ganzheitliche Sexualerziehung“ gar nicht abliefern kann, was sie verspricht. Ganz zu schweigen von den fatalen Folgen, die eine Sexualerziehung hat, die kindliche Schamgrenzen kontinuierlich abbaut, Kinder und Jugendliche mit unangemessenen Inhalten konfrontiert und sie zu einem selbstzentrierten und wertlosen Sexualverhalten animiert.